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St.Gallen

Bücher, Biber, Bratwurst, Bier

St.gallen, Kathedrale

Den Wert der Stadt, in der man lebt, weiss man erst zu schätzen, wenn man sie besucht. Ende November wurde ich – wohnhaft in St.Gallen – von der örtlichen Tourismusorganisation nach St.Gallen eingeladen. Ich sah für zwei Tage meine Stadt als Tourist.

Für mich als Kind war es selbstverständlich, dass Kirchen mit barockem Stuck und vielen Bildern ausgestattet sind. Die Einzigartigkeit dieses Stils wurde mir erst viel später bewusst. Ähnliches gilt für vieles mehr. Darum: Wer seine Heimatstadt mit touristischen Augen, am besten mit einer Führung besucht, sieht diese in einem neuen Blickfeld.

In diesem Artikel:

Textilstadt – St.Gallen und die Stickerei

Bücherstadt – Weltruhm durch die Stiftsbibliothek

Sternenstadt – die St.Galler Weihnachtsbeleuchtung

Biberstadt – Süsses aus St.Gallen

Bierstadt – Schon im Frühmittelalter wurde hier gebraut

 

Am letzten Novemberwochenende wurde ich, St.Galler, im Rahmen einer Pressereise von St.Gallen-Bodenseetourismus nach St.Gallen eingeladen. Bescheiden verzichtete ich auf das Bahnticket und reiste mit dem Velo und ohne Gepäck an. Vieles hier ist für mich so normal, dass ich mir der Besonderheit erst bewusst bin, wenn Auswertige darüber staunen. Dies gilt für die barocke Kathedrale mit dem Klosterbezirk und der Stiftsbibliothek, wie auch für den Bahnhof. Das Bahnhofsgebäude zeugt noch von St.Gallens Reichtum zur Zeit der Stickereiblüte, welche mit Beginn des ersten Weltkriegs abrupt endete und die Stadt in eine tiefe Rezession führte, aus der man erst in den 1960ern wieder richtig herausfand.

Die "Stadtlounge", der Rote Platz von St.Gallen
Die "Stadtlounge", der Rote Platz von St.Gallen

St.Gallen einstiger Glanz ist überall sichtbar.

Die mächtige Fürstabtei, St.Gallen als freie Reichsstadt, der internationale Handelsplatz und die bedeutende Textilindustrie hinterliessen überall ihre Spuren – vor allem letztere.

Die Blütezeit ist auch in der Architektur erlebbar. Viele und grosse Jugendstilbauten, von öffentlichen Bauten bis zu stattlichen Villen, zeugen von der reichen Vergangenheit der Stadt. Das Historische Museum widmet dem Jugenstil in St.Gallen eine Sonderausstellung.

Bahnhof St.Gallen vollendet
Kaum eine Schweizer Stadt kann eine derart grosse Bahnhofsfassade vorweisen. Dabei wurde der Bau nicht einmal wie geplant fertiggestellt. Fotomontage: Markus Tofalo

Mehr über den renovierten Bahnhof hier

Unsere erster Fokus gilt dem Textilmuseum.

Hier werden die Schätze der Ära, wo St.Gallen Textilhauptstadt der Welt war, aufbewahrt. Neben dem Klosterbezirk ist die historische Textilstadt das zweite Hauptargument, was die Einzigartigkeit der Ostschweizer Metropole auszeichnet. Erbaut wurde das Textlilmuseum bereits 1886, vielleicht aus Weitsicht oder Branchenstolz, wahrscheinlich aber aus praktischen Gründen als Bildungsort.

St.Gallen, Textilmuseum

Weltbekannt sind die St.Galler Spitzen. Doch wie kam es dazu? Bedingt durch das günstige Klima wuchs bereits im Mittelalter in der Ostschweiz die Leinenproduktion zu grosser Bedeutung. Später arbeitete man auch mit anderen Rohstoffen für Textilien und gewann die Kenntnis und Fertigkeiten in der Bearbeitung und Verzierung hinzu. Edle, mit Stickereien und Spitzen verzierte Stoffe waren in den Adelshäusern Europas hoch gefragt.

St.Gallen, Textilmuseum

Doch die Herstellung von Hand war aufwendig, dauerte lange und war entsprechend teuer. In St.Gallen entwickelten man im Industriezeitalter Mitte des 19. Jahrhunderts hierfür Maschinen. Man bediente sich der althergebrachten Muster, entwarf auch viele neue und produzierte diese edlen Textilien maschinell.

St.Gallen, Textilmuseum
Muster- und...

St.Gallen, Textilmuseum, Stickerskizzen
... Skizzenbuch im Textilmuseum

Die Muster und wertvollen Einzelstücke, teilweise seltene Exponate aus den europäischen Königshäusern, sind heute im Textilmuseum entweder ausgestellt, oder in der umfangreichen Bibliothek abgelegt. Hier werden Zeichnungen und Musterbücher der berühmten St.Galler Stickerei gelagert. Dabei ist diese Bibliothek, angelegt vom «Kaufmännischen Directorium», der Vereinigung der St.Galler Kaufleute, keinesfalls auf eine Museumsfunktion reduziert. Auch heute noch dient sie Textil- und Modedesignern als Nachschlagewerk.

St.Gallen, Textilmuseum, Textilbibliothek
Die Bibliothek im Textilmuseum, das Pendant der Textilindustrie zur Stiftbibliothek des Klosters.

Auch wenn heute nur noch ein symbolischer Bruchteil in St.Gallen produziert wird, entworfen wird hier noch viel. Zudem hat sich Kompetenz zur Herstellung von Spezialtextilien, sei es in technischer wie auch in gestalterischer Hinsicht, in der Ostschweiz gehalten.

St.Gallen, Textilmuseum
Eine Auswahl aktueller Spezialstoffe, welche weltweit von grossen Labels für ihre Kreationen verwendet werden.

Zur besten Zeit belieferte St.Gallen 50 Prozent des Weltmarkts mit Spitzen- und Stickereiproduktion. St.Gallen war drittgrösste Stadt der Schweiz. Züge fuhren direkt nach Paris. Viele Bauten aus dieser Ära prägen das heutige Stadtbild, wie der oben erwähnt Bahnhof. Nach dem Niedergang der Textilindustrie mussten 17'000 überflüssige Stickmaschinen abgewrackt werden. Dafür wurden gar Prämien bezahlt.

Handstickmaschine

Ein Juwel der ersten maschinellen Stickereistunde ist die Handstickmaschine aus dem Jahr 1890 im Textilmuseum. Ihre 156 Nadeln und ihre ausgeklügelte Mechanik lassen 26 Mustern gleichzeitig und erst noch präziser herstellen.

Auf dem Programm stand natürlich auch die Stiftsbibliothek, unser Unesco-Welterbe.

Sie beherbergt die ältesten Handschriften der christlichen Kultur. Begonnen mit dem Rückzug des irischen Mönchs Gallus in dieses unwirtliche Hochtal über dem Bodensee, wurde nach der Klostergründung durch Otmar im Jahr 719 die Erfolgsgeschichte St.Gallens geschrieben und die Sammelwut der Mönche gestartet. Bücher wurden hier verfasst und kopiert – von Hand durch Abschreiben versteht sich. Über Jahrhunderte blieb die Bibliothek von Kriegen und Katastrophen verschont. Vor dem berüchtigten Ungarneinfall 926 wurde das Kloster gemäss Überlieferung durch Gott via die im Katharinenkloster eingemauerte Wiborada gewarnt, so dass man die Schätze Rechtzeitigkeit in Sicherheit bringen konnte. Dass Wiborda die erste Frau, ist, die durch einen Papst heilig gesprochen wurde, ist nur eine der zahlreiche spannenden Anekdoten, welche uns auf dem «Weihnachtsstadtrundgang» erzählt wurden. Ein Thema waren auch die vielen Erker, die die Gassen der Altstadt auszeichnen, aber auch die Probleme der Stadt, die durch die Reformation entstanden sind und wie sich die reformierte Stadt schliesslich mit dem katholischen Kloster arrangierte. Hochspannend.

www.stibi.ch

Sternenstadt

St.Gallen, Sternenstadt, Weihnachtsbeleuchtung
Foto: St.Gallen-Bodensee Tourismus

Zum weihnachtlichen Konzept dieses Rundgangs gehört auch ein Besuch in der Lüchinger Galerie, dem grössten Laden für Christbaumsschmuck und anderer Weihnachtsdeco der Schweiz – ich habe es nicht nachgeprüft, aber was hier an «Kugeln» gezeigt wird, darunter auch viele Eigenkreationen, ist wahrlich beeindruckend.

St.Gallen, Galerie Lüchinger
Galerie Lüchinger

St.Gallens Tourismus zieht merklich an.

Eine neue, dezente Beschilderung weist im Stiftsbezirk den Weg, wer will, kann sich von Audioguides alles erklären lassen. Die Investitionen zahlen sich aus. Auch an diesem kühlen Donnerstag sind sogar chinesische Touristen auszumachen. 2019 wird ein Ausstellungsraum speziell für den St.Galler Klosterplan eröffnet. Gezeichnet ca. im Jahr 820, gilt er weltweit als ältester noch erhaltener Architekturplan. Zwar wurde das Kloster in dieser Art nie gebaut, der Plan gibt aber einen interessanten Aufschluss über das Leben in den Klöstern des frühen Mittelalters.

St.Gallen, Sternenstadt, Weihnachtsmarkt

Ein Anziehungspunkt der jüngsten Zeit ist die Weihnachtbeleuchtung der Gallusstadt. 700 vierzehnzackige Sterne zieren die Altstadt und das angrenzende Zentrum bis zum Bahnhof. Auch nach neun Jahren in Betrieb wird die zentrumsfüllende Sterneninstallation als schönste Weihnachtbeleuchtung weitherum bezeichnet. Im neunten Jahr seit ihrer Inbetriebsetzung hat der Verein St.Gallen-Sternenstadt den Begriff «Sternenstadt» für St.Gallen als offizielle Marke schützen lassen.

St.Gallen, Sternenstadt, Weihnachtsmarkt
Die erste Aufschaltung der Sterne vor dem Advent zelebrieren die Ostschweizer als «Vernissage».


Zu Musik erfüllt eine wahre Lichtchoreografie die gut gefüllten Gassen der Altstadt. Passend dazu lassen die Organisatoren diesen Abend mit einem feinen Fondue im Restaurant National, einer der ältesten Beizen der Stadt, enden.

Fondue, Restaurant National

Mehr über die Sternestadt in diesem Artikel

www.sternenstadt.ch

St.Galler Biber

Martin Schnyder von der Confisserie Roggwiller
Martin Schnyder von der Confisserie Roggwiller

Am zweiten Tag standen nach B1 für Bücher, B2 für Bratwürste sowie B3 und B4 für Biber und Bier auf dem Programm. Auf die Bratwurst, die uns über die Gasse bei Gemperli kredenzt wurde, sei hier nicht näher eingegangen – ich esse keine andere als die hiesige. Und falls trotzdem, muss ich den unangenehmen Geschmack mit Senf kaschieren.

St.Gallen, Biberkunst im Schaufenster von Roggwiller
Biberkunst im Schaufenster von Roggwiller

In der ganze Schweiz bekannt sind Appenzeller Biber mit der feinen süssen Mandelfüllung. Tatsächlich ist die Erwähnung von St.Galler «Bibenzelten» bereits 150 Jahre früher belegt, also in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Nicht nur zur Weihnachtszeit erfreuen sie sich grosser Beliebtheit. Martin Schnyder von der traditionellen Confiserie Roggwiller erklärt die Herstellung und lässt uns auch selber Hand anlegen. Schon die Form für das Sujet ist ein Kunstwerk. Noch heute wird diese aus hartem Birnenholz geschnitzt. Nicht weniger als 20 Zutaten sind für Teig und Füllung nötig. Im Detail ist diese Mischung je nach Confiseur anders. Bei Roggwiller sind dies Honig, Zucker, Dinkelmehl, Orangen, Treibmittel und eine Gewürzmischung aus Koriander, Anis, Sternanis, Zimt, Nelken und Ingwer für den Teig und Mandeln, Zucker und Wasser für die Füllung. Hinzu kommen Zitronat und Orangenblütenwasser.



St.Gallen, Confiserie Roggwiller
Auch die Confiserie Roggwiller strahlt noch die Aura vergangener Zeit aus.

www.roggwiller.ch

Bier gibt es hier seit dem frühen Mittelalter

Die Brauerei Schützengarten gilt als grösste der Schweiz, welche sich noch in einheimischem Besitz befindet. Seit 1779 gibt es sie. Gebraut wird in St.Gallen aber schon seit frühester Klosterzeit. So sind im Klosterplan von 900 gar drei Brauereien zu finden. Nein – die Mönche wahren keine Alkoholiker, wurde uns an der Stadtführung gesagt. Vielmehr wahren Bier und Wein wegen ihres Alkholgehalts reiner, also bakterienfreier als Wasser. Darum gab man es früher in verdünnter Form auch den Kindern zu trinken. Schon wieder etwas, das ich bisher nicht wusste. So ein Stadtrundgang ist effektiv lehrreich.

St.Gallen, Schützengarten Bier Baruerei

Nicht weniger als 15 Biere stehen auf dem Buffet zur Degustation bereit. Auf die Bierbraukunst und ihre Tradition seit 1779 ist man bei er Brauerei Schützengarten stolz. Namen wie «Klosterbräu», «Gallus Bier» oder «Schwarzer Bär» knüpfen an die lange Geschichte des Bierbrauens an, wenngleich es sich bei diesen historisch anmutenden Namen nicht um alte Rezepte handelt. «Diese Biere würden heutigen Gaumen in keiner Weise mehr munden», sagt man uns. Man habe sich aber bei der Rezeptur durchaus an die Vergangenheit angelehnt. Trendgerecht sind auch drei Spezialbiere und drei Biermischgetränke im Sortiment, welche in Gaststätten leider oft zugunsten des üblichen Lagerbiers untergehen.

St.Gallen, Bierflaschenmuseum Schützengarten
Beeindruckend ist auch das Bierflaschenmuseum von Schützengarten. Gezeigt werden Flaschen aus aller Welt.

www.schuetzengarten.ch

St.Gallen, Blick vom Bundeverwaltungsgerich

Eineinhalb Tage dauerte meine «Reise» nach St.Gallen. Das Programm war – wie üblich bei solchen Pressereisen – ziemlich voll. Im Gegensatz zu mir gänzlich unbekannten Orten habe ich es diesmal aber nicht vermisst, dass es an Zeit zur freien Verfügung gefehlt hat. Davon habe ich als Einwohner dieser Stifts-, Textil und Vier-B-Stadt genügend! Spannend war für mich auch, die Reaktion und die Bewunderung meiner Mitreisenden für meine Stadt zu erleben. Ja – man darf stolz sein auf St.Gallen.

Website St.Gallen-Bodensee Tourismus

Text, Fotos und Videos: Markus Tofalo
Veröffentlicht auch im "jetzt" Magazin.

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