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Vorwärts

Gedanken, Ideen, Meinungen und Senf von Markus Tofalo

Kann die Strassenfläche reduziert werden?

Der Verein Umverkehr (Eigenschreibweise "umverkehR") möchte mit dieser «Initiative für ein gesundes Stadtklima (Gute-Luft-Initiative)» während 10 Jahren jährlich 0,5% der Strassenfläche in Grünflächen mit Bäumen umwandeln. Geht das?

Der Initiativtext ("Gute-Luft-Initiative") im Entwurf

1. Die Stadt St. Gallen trifft wirksame Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor den negativen Auswirkungen der Klimaerwärmung, wie insbesondere gegen Hitzetage und Tropennächte.

  • Diesem Ziel widerspricht wohl niemand.

2. Zu diesem Zweck erhöht sie insbesondere die Anzahl Bäume und schafft oder sichert sie zusätzliche Grünflächen.

  • Auch diese Absicht ist breit vorhanden.

3. Sie wandelt insbesondere Strassenflächen in Flächen für Bäume und Grünflächen um. Flächen für den Fussverkehr, den Veloverkehr sowie den öffentlichen Verkehr sind je mindestens in ihrem Bestand zu erhalten.

  • Bäume wären weniger das Problem. Sie brauchen weniger Grundfläche als Grünflächen. Zudem haben Bäume eine grössere positive Wirkung fürs Stadtklima als eine blosse Grünfläche.

4. Ab Inkrafttreten dieses Reglements ist während zehn Jahren jährlich eine Fläche, welche mindestens 0,5 Prozent der gesamten Strassenfläche auf Stadtgebiet im Referenzjahr 2020 entspricht, von befestigter Strassenfläche in Flächen für Bäume und Grünflächen umzuwandeln.

  • Das würde bedeuten, dass wir in 10 Jahren 5% Fläche reduzieren müssten. Ich schätze, das sind mehr als die Rorschacher Strasse in ihrer ganzen Länge und Breite. Realistisch ist kein Spurabbau möglich. Bleibt nur ein Rückbau überbreiter Strassen. Reicht das?

5. Die Stadt St. Gallen veröffentlicht jährlich einen Bericht über den Stand der Umsetzung der Massnahmen und deren Wirkung.

Meine erster Gedanke: geht nicht. Oder doch?

Strassenflächen sind nicht abhängig von der Verkehrsmenge, denn je eine Spur pro Richtung braucht es im Minimum. Und jede Liegenschaft muss erschlossen sein. Das war bereits so, bevor Autos erfunden wurden. Reduktionen sind also nur bei durch Spurabbau möglich.
Doch brauch jede Quartierstrasse effektiv eine Spur pro Fahrtrichtung? Ich meine nein. Dazu mehr in einer Studie, die im Sommer 2021 veröffentlicht werden wird.

strassenrueckbau stgallen
Bildgrundlage: Digitaler Stadtplan St.Gallen


In St.Gallen gibt es kaum Strassen mit mehr als einer Spur pro Richtung,
abgesehen von Sortierspuren vor Kreuzungen (cyan im Plan):

Zürcherstrasse im vor der Arena und im Bild

  • Unterer Graben
  • Oberer Graben beim Schibenertorplatz und Multertor
  • Tote Spuren und überlange Linksabbiegespur auf der Rorschacher Strasse beim Grossacker
  • Rorschacher Strasse beim Zil, 2 Linksabiegespuren
  • Martinsbruggstrasse zwischen Favrestrasse und Schönbühlstrasse

All diese Fälle betreffen Kantonsstrassen, die Stadt hat hier keine Einflussmöglichkeit.

Eine weitere Möglichkeit bilden Strassen mit Überbreite. Eine Spur muss nicht breiter sein als es die Norm für die entsprechende Strassenklasse verlangt. Folgende Beispiele (dunkelblau im Plan):

  • Rorschacher Strasse, Neudorf
  • Zürcher Strasse zwischen Bruggen und Lerchenfeld

Das wärs auch schon.

Weil schliesslich jede Liegenschaft erschlossen sein muss und jede Strasse mindestens eine Spur pro Richtung braucht, bleiben auf den ersten Blick kaum Möglichkeiten, die geforderten 5% Strassenfläche zu reduzieren. Darum war ich vorerst gegen die Initiative.

Es geht eben doch

Bei einer zweiten Betrachtung habe ich den Fokus auf überdimensionierte Quartierstrassen gelegt, auch dunkelblau im Plan (ich bin überzeugt, das bei genauerer Betrachtung noch mehr zu finden wäre). Bis in die 1980er-Jahre herrschte die Maxime, eine Strasse hat mindestens einseitig ein genormtes Trottoir zu haben. Später wurde man klüger. In neuerer Zeit werden Quartierstrassen, die lediglich Einfamilienhäuser oder wenige Mehrfamilienhäuser, erschliessen ohne Trottoir und oft verkehrsberuhigt erstellt. Die Lebensqualität ist an solchen Strassen ungleich höher, die versiegelte Fläche geringer und trotzdem erfüllen sie ihren Zweck.

Da gibt es sehr viel Rückbaupotential:

  • Sackgassen haben per se wenig Verkehr. Wozu brauchen diese Normbreiten mit Trottoirs?
  • Viele Strassen am Rosenberg erschliessen ein Gebiete mit sehr geringer Dichte, sie haben sogar zwei Trottoirs.
  • Erschliessungsstrassen von Einfamilienhausquartieren, besonders herausragendes Negativbeispiel: Schöckstrasse. Die Erschliessungsfläche steht in keinem Verhältnis zur Einwohnerdichte und zur Verkehrsmenge
  • Ist es Aufgabe der Stadt, auf ihren Strassen Parkierflächen für Anstösser bereitzustellen? Kundenparkplätze für Geschäfte braucht es, aber Anwohner sollten ihre Autos auf ihren – teilweise grosszügigen Parzellen – unterbringen. Oder sie bezahlen für ihren Parkplatz auf öffentlichem Grund einen Marktpreis.
  • Abbau von nicht mehr notwendigen Busspuren, z.B. im Oberen Graben und auf dem Schibenertorplatz.
  • Umwandlung in Einbahnstrassen bei je zwei parallelen Quartierstrassen.

Mein Fazit: Die Stadtklima-Initiativen wären umsetzbar. Die fixe Zahl behagt mir zwar immer noch nicht, aber wenn es ohne Schmerz machbar ist, kann man ja sagen. Ich denke, dass sogar ohne grosse verkehrliche Einschränkung wesentlich mehr als 5% möglich wären.

Ein Hindernis wären vielmehr die Kosten. Vernünftig wäre, dass man die entsprechenden Strassenumbauten in Angriff nimmt, wenn ohnehin Sanierungsarbeiten an Beläge oder/und Leitungen anfallen. Das wäre dann aber nicht innert der vorgegebenen Frist von 10 Jahren möglich.

Sehr viel Potential sehe ich jedoch auf privaten Grundstücken, in Vorplätzen, Zufahrten und Wegen, die keinswegs sphaltiert sein müssen. Unverständlich ist mir, warum heute immer noch Steinwüsten-«Vorgärten» möglich sind, während Flachdächer zu begrünen sind. Und wie ist es möglich, dass Restflächen, die weder als Weg noch als Parkplatz dienen, zugeteert werden dürfen, wie dies bei der überbreite gleich gegenüber erst kürzlich gemacht wurde?

 

Trotzdem – ich bin beim vorliegenden Text für ein Ja zur Gute-Luft-Initiative.

Etwas schwieriger ist für mich die "Zukunftsintiative", welche Verkehrsflächen vom MIV zum Langsamverkehr verschieben möchte.
Dies würde dem Stadtklima allerdings weniger dienen, denn die versiegelte Fläche nimmt dadurch nicht ab. Und wie ich an anderer Stelle schon erwähnt habe, muss und kann der Veloverkehr nicht flächendeckend separiert werden.

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Stadtklima-Initiativen auf der Website von Umverkehr

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