Die Stadt soll begrünter, aufenthaltsfreundlicher, weniger lärmig, angenehmer für Zufussgehende und sicherer für den Veloverkehr werden. Doch gleichzeitig sollen die Strassen ihre Primärfunktion, die Erschliessung, voll erfüllen können. Ist dies alles miteinander vereinbar?
Wird der Autobahnschluss Güterbahnhof dereinst realisiert, wird das Verkehrsaufkommen im Zentrum mit Sicherheit steigen. Der Tunnelausgang bei der St.Leonhard-Brücke wird zusätzlich Verkehr in die Innenstadt «spülen», der lediglich zum Hauptbahnhof, zur Universität oder in eine der grossen Parkgaragen Unterer Graben, Brühltor oder Burggraben möchte. Einmal bei der Geltenwilenstrasse angekommen, wird er den Weg zu seinen Zielen via Innenstadt suchen und somit diese zusätzlich belasten, während die Autobahnausfahrt Kreuzbleiche diesen Verkehr heute via Rosenbergstrasse direkt dahin bringt.
Mit «Innenstadt» ist in diesem Artikel das Gebiet zwischen der Geltenwilenstrasse und der Altstadt, auf der ganzen Breite des Talbodens, gemeint, auch Stickereiquartier genannt.
Die Anforderungen, Wünsche und Begehrlichkeiten der verschiedenen Anspruchsgruppen widersprechen sich. Erfüllbar ist nicht alles. Eine vollständige Verkehrsbefreiung der Innenstadt ist aus unserer Sicht nicht denkbar. Den Durchgangsverkehr sollte man hingegen wegbringen. Auch nicht denkbar ist die konsequente oder Anlage von Radstreifen. Der Platzbedarf ist zu gross und würde auf Kosten der Begrünung gehen. Gleichzeitig steht die Forderung im Raum, dass der motorisierte Individualverkehr (MIV) möglichst staufrei fliessen kann. Um dies zu erfüllen, müssten wohl sämtliche Strassen der Innenstadt 4-spurig ausgebaut sein. Doch selbst dann verursachen Lichtsignalanlagen an den Knoten Wartezeiten, vor allem wegen Linksabbiegern.
Autogerechte Strassen in der St.Galler Innenstadt. Nicht einmal so wäre ein staufreier Autoverkehr möglich.
Vieles ist gewachsen. Es ist so und es ist gut so, weil es schon immer so war. Nach diesem Motto werden die Strassen saniert. Bloss nichts ändern. Doch von dieser Einstellung gilt es wegzukommen. Der Individualverkehr in der Innenstadt muss neu gedacht werden.
Wir massen uns dabei nicht an, die Lösung präsentieren zu können. Es wäre aber vorstellbar, mit folgendem Denkansatz, den es zu entwickeln gilt, eine Verbesserung erreichen zu können. Sollte nach eingehender Prüfung ein unbefriedigendes Ergebnis vorliegen, wurde es wenigstens versucht. Man muss immer die Grösse haben aufzugeben, wenn das gewünschte Ziel nicht mit verhältnismässigen Mitteln erreicht werden kann. Gleiches darf auch von den Planenden und Befürwortenden der Teilspange erwartet werden.
Situation am Schibenertor bei gesperrtem Unterer-Graben-Bypass im Sommer 2022. Der Rückstau vom Blumenbergplatz geht bereits über die Kreuzung, was nach Verkehrsplanung eigentlich vermieden werden soll. Abhilfe schafft hier nur eine Reduktion und Neuorganisation des Verkehrs in der Innenstadt.
Die Probleme sind die Knoten, genauer die Linksabbieger. Könnte das Linksabbiegen unterbunden werden, wäre der Verkehr flüssiger. Dieser Ansatz bildet auch einen Kernpunkt des Konzepts Autobahnen – also kreuzungsfreie Kreuzungen.
Kreisel verfolgen das gleiche Konzept. Man fährt nur nach rechts ein. Alle Ausfahrten gehen rechts weg. Diese Knoten funktionieren ohne Linksabbiegen und somit auch ohne Lichtsignale.
Diese Idee hatte schon früher einmal Markus Tofalo für die Altstadt durchdacht. Ein Altstadtring, der nur in Gegenuhrzeigersinn befahren werden kann, würde die Probleme aller Knoten lösen. Sämtliche Strassen von Aussen biegen rechts in den Einbahnring ein. Der Ring wird wiederum nur nach rechts verlassen. Weil aber auch das «Kreiselinnere» erschlossen sein muss, gibt es auch Ausfahrten nach links sowie Einfahrten von dort, die dann logischerweise links in den Kreisel einfahren. Wenn der Kreisel doppelsuprig geführt wird, sollte es möglich sein, den ganzen Verkehr um die Innenstadt einigermassen staufrei abzuwickeln.
Den gleichen Ansatz verfolgt die Idee von Philipp Schönbächler in der Innenstadt. Sein Ring basiert auf der Grundlage Rosenbergstrasse westwärts, St.Leonhard-Strasse – Oberer-Graben ostwärts, der Ring demzufolge: St.Leonhard-Strasse – Oberer Graben – Schibenertorplatz – Blumenbergplatz – Rosenbergstrasse. Die Nachteile wären etwa dieselben wie beim Altstadtring. Weil die Ringstrecke länger ist, würden die ungewollten Umwege weiter, also Fahrten von der Hauptbahnhofsvorfahrt zum Blumenbergplatz würden via St.Leonhard-Strasse führen. Bei der St.Leonhard-Brücke müsste wohl Gegenverkehr möglich sein, zu gross ist dort die entsprechende Verkehrsmenge.
Grosser Innenstadt-Einbahnring um den Hauptbahnhof.
Weiter gedacht, würde sich ein Geflecht aus Einbahnstrassen ergeben.
Geflecht aus mehreren Einbahnringen in der Innenstadt. Kann der Verkehr so funktionieren bei gleichzeitiger Flächenreduktion? Gelb: Öffentlicher Verkehr.
Bei dieser Lösung wäre die effektiv vom MIV benötigte Verkehrsfläche gegenüber heute geringer; der Verkehr flüssiger; die Umwege nicht so lang wie bei grossen Einbahnkreiseln. Der Flächengewinn käme der Begrünung und den anderen Verkehrsarten zugute.
Die obige Skizze mit den möglichen Einbahnrichtungen ist als eine Ideenskizze entstanden. Sicher wäre hier eine tiefer gehenden Planung nötig, um anhand von Verkehrsmengen, Zielen und unter Einbezug des ÖV das Optimum zu entwickeln.
Sicher, ob es funktionieren würde, ist man erst nach eingehender Prüfung. Die Rechnung bezüglich Flächen, Lärm- und Abgasemissionen und sowie Zeitverbrauch müsste im Detail erarbeitet werden. Dazu wäre eine detaillierte und gesamtheitliche Verkehrssimulation über den ganzen Innenstadtbereich nötig, unter Einbezug der Fussverkehrsströme und des Veloverkehrs. Auch letzterer müsste sich dem Einbahnregime teilweise unterordnen, damit dieses funktioniert.
Wenn wir den Verkehr in der Innenstadt reduzieren wollen, ist Handeln angesagt. Der geplante Autobahnanschluss Güterbahnhof würde diesen Zielen klar entgegenwirken.
Der unlösbare Knoten bei der St.Leonhard-Brücke
Abbau der Verkehrsfläche am Schibenertor und im Unteren Graben St.Gallen