Alle sind voll des Lobes über das Siegerprojekt des zweiten Wettbewerbs für einen neuen Campus der Universität St.Gallen (HSG) am Platztor. Der Holzbau ist filigran und soweit möglich nachhaltig. Die Offene Kirche soll erhalten bleiben. Das könnte auch für den schönen, alten Baumbestand um diese gelten. Und wenig bis nicht beachtet wird die Zugangssituation.

Für den Zugang von 3000 Studierenden und allen Mitarbeitenden wäre eine grosszügige Passage unter der Platztorkreuzung opportun. Stattdessen sind eine Unterführung mit 6m Breite und ein enger Treppenaufgang geplant.
So schlecht fand ich das erste Uni-Campus-Projekt nicht – im Vergleich zu den damaligen Mitbewerbern. Doch wenn ich die neue Siegesarbeit der Arbeitsgemeinschaft Graber Pulver Architekt:innen und Jaeger Coneco sehe, streiche ich Platztor I gerne aus meiner Erinnerung.
Ungenügender Zugang zur Altstadt und zum ÖV
Kein Schutz für alten Baumbestand
Das Wettbewerbsprogramm wurde gegenüber 2021 geändert. Die Vorgaben wurden deutlich enger gefasst, mit starkem Fokus auf Nutzung, bauliche Details und Funktion, statt auf städtebauliche Offenheit oder architektonische Freiheiten.
Aufgefallene Wettbewerbsbeiträge
Die Jury empfiehlt noch eine Nachbesserung der Eingangssituation an der St.Jakob-Strasse. Es sei dort ist, nach vorliegenden Plänen, eher eng. Tatsächlich wirkt der Eingang im Vergleich zu anderen Lösungen bescheiden. Wenn sich in diesem Gebäude dereinst bis 3000 Studierende plus Personal befinden werden, wird dies zweifellos viel Fussverkehr verursachen – naheliegenderweise in Richtung Marktplatz, wo sich der nächst gelegene ÖV-Hub befindet.
Siegerprojekt:
Rot der Zugang vom Marktplatz mit den Wegbreiten. Direkter wäre besser.
Blau der Zugang vom Parkhaus Central, von wo man auch vom Campus Rosenberg her kommen würde.
Ich habe dies schon mehrfach erwähnt. Für diese Menschenmenge sehe ich den 6m breite und nicht gerade kurze Stollen unter der Platztorkreuzung als beengend, unattraktiv und der Bedeutung der Universität nicht angemessen.
Bild rechts: Die bestehende, 3.50m breite Unterführung Platztor. Die neue würde 6m breit und ca. 30% höher.
Eine allseits zugängliche Passage wie am Brühltor wäre die beste Lösung. Keine Wartezeiten für Fussgänerginnen und Fussgänger und kein Kapazitätsverlust des Knotens.
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass ein Zugang direkt von der unterirdischen Passage als Ergänzung zu einem visuell starken Haupteingang erfolgen soll – immerhin wäre dies der tatsächliche Hauptzugang.
Zum gescheiterten Projekt von 2021 habe ich ergänzend einen solchen direkten Zugang von der Unterführung ins Gebäude aufgezeigt.
Die Planerteams sind entschuldigt. Sie haben sich an die Wettbewerbsvorgaben gehalten.

So war den Planerteams die Unterführung und ihr Aufgang vorgegeben.
Unten die Vorgabe vom Wettbewerb 2020: Überlegungen zum Zugang waren erwünscht. Entsprechend besser waren zu diesem Punkt die Ergebnisse. Gut ersichtlich in diesem Plan sind auch die weiteren geplanten Veränderung am Knoten.

Zu erwähnen ist auch der Zugang Ost von der Blumenaustrasse her. Er könnte der Start sein einer Parkallee via Theaterplatz, Stadtpark, Kantonsschule zur südlichen Altstadt und so ein neue Bildungszentrum mit dem historischen im Kloster verbinden.
Das Siegerprojekt steht kompakt an der östlichen Ecke des Grundstücks. Die"Offene Kirche" bleibt erhalten. Sie soll als Cafeteria genutzt werden. Der Freiraum dazwischen und zur Böcklinstrasse soll eine prächtige «parkartige Landschaft mit Wiesen, Stauden, Bäumen und geschwungenen Sitzkanten» werden.
Seite zur Böcklinstrasse mit viel Grün (Bild: «Tsumiki» Arbeitsgemeinschaft Graber Pulver Architekt:innen und Jaeger Coneco), kleines Bild: bestehender Baumbestand in diesem Bereich.
Lauschiges Wäldchen hinter der Kirche.
Der grosse, alte Baumbestand um die Kirche und entlang der Böcklinstrasse sollte gerodet werden, obwohl wieder eine Bepflanzung vorgesehen ist. Man könnte die Bäume also in die Umgebungsplanung integrieren. So entstünde eine Parklandschaft mit Bäumen verschiedenen Alters, was der Biodiversität nur gut tut.
Die "Offene Kirche", ursprünglich 1925 nach dem Rückbau der Bahnlinie erbaut als Gotteshaus der «First Church of Christ Scientist». Der Baumbestand könnte, wo er das Bauvorhaben nicht tangiert, erhalten werden. Dass dies auch nahe an einer Baugrube möglich ist, wurde z.B. 2003 beim Bau des Hotels mit Casino ein paar Meter östlich bewiesen.
Ein paar Bäume könnten erhalten werden.
Für Velofahrende ist eine Garage mit 275 Plätzen vorgesehen. Gut möglich, dass diese reichen könnte. Bei 4000 Nutzenden wäre es aber vorstellbar, dass es eng werden könnte. Darum fordere ich, dass zumindest optional eine Erweiterung gedacht wird, falls sich diese aufdrängt. Dies, um später unschöne Improvisationen mit wilden oder unpassenden Velabstellanlagen zu verhindern.
Mit der Realisierung des neuen Uni-Campus soll auch die Kreuzung am Platztor umgebaut werden. Die Ausrundung der Beziehung St.Jakob-Strasse – Unterer Graben, die in den 1980ern gebaut wurde, soll zugunsten einer besseren Grundstücksform rückgängig gemacht werden. Dabei werden für Velofahrende neue Wege angelegt. Mögen es viele für sicherer erachten, auf Trottoirs zu fahren, so empfinden dies Fussgänger:innen als störend und routinierte Velofahrende als lästig. Strassenquerungen erfolgen rechtwinklig zusammen mit dem Fussverkehr lichtsignalgeteuert – auf Knopfdruck mit Wartezeit. Heute können sich Velofahrende im MIV einordnen. Für wichtige Beziehungen gibt es dafür Radstreifen.

Die Veloverkehrsbeziehung auf der geplanten Platztorkreuzung, Basis: Umgebungsplan des Projekts «Platztomorrow» (siehe unten), das mit der grosszügigen Treppe einen der Anlage gebührenden Zugang vorsieht.
Grün: Hier sind Velospuren (Radstreifen) geplant. So, wie es sein sollte.
Rot: Veloverkehrsbeziehungen im Konflikt mit Fussverkehr. Die Velofurt über den Unteren Graben und die Fussgängerquerung über die St.Jakob-Strasse erforden eine zusätzliche Lichtsignalschaltung. Die Kapazität des Knotens nimmt so ab.
Blau: Diese Velospur vom Unteren Graben in die St.Jakob-Strasse (breit) steht im Konflikt mit Autos, welche der dünnen Linie in die Torstrasse folgen. Weil hier nicht beide gleichzeitig grün haben können, ist eine weitere zusätzliche Schaltung nötig, die Wohl für die Velofahrenden zu mehr Wartezeit führen wird.
Immerhin gibt es für diese Schikanen – so empfinden es Velofahrende wie ich – keine Benützungspflicht. Die MIV-Spuren sind jedoch nicht genug breit, um rechts vorbei fahren zu können. Zudem glauben sich Autofahrende im Recht, wenn sie Velofahrende weghupen.
Um sich ein Bild über die Platzverhältnisse auf dem Trottoir zu machen: Geht es nach den Verkehrsplanern des Kantons St.Gallen, würden sich diesen Weg Velofahrende und Zufussgehende teilen. Bild: Projekt «Limen» von Penzel Valier, Zürich.
Velos gehören nicht auf Trottoirs
Gegenüber dem ersten Wettbewerb wurden die Formulierung der Aufgaben leicht geändert. Während 2021 dem Begriff «Campus» im Sinn von mehreren Gebäuden mehr entsprochenen wurde, finden sich nun nur noch Lösungen aus jeweils einem grossen Gebäude, was im wörtlichen Sinn kein Campus mehr darstellt. Ausnahme ist die Offene Kirche, welche in vielen Vorschlägen als Gastrolokal vorgesehen ist. Diese Möglichkeit wurde schon im ersten Wettbewerb gegeben.
Das Siegerprojekt «Tsumiki» der Arbeitsgemeinschaft Graber Pulver Architekt:innen und Jaeger Coneco, Zürich glänzt durch die Holzbauweise und seine Leichtigkeit. Daneben erscheinen manche Konkurrenten auf den ersten Blick vergleichsweise belanglos. Doch auch der Holzbau ist sechsgeschossig. Weil in der Fassade jeweils zwei Geschosse zusammen genommen sind, erscheinen dem Betrachter nur drei Geschosse – ein Trick, den auch andere Wettbewerbsteilnehmende angewendet habe. Auch das Projekt der neuen Bibliothek bedient sich dieses Effekts.
Bei meiner Betrachtung habe ich den Focus primär auf den Zugang gelegt.
Auch beim Projekt «Kathedrale des Wissens» von Fres Architekten Lab aus Genéve glaubt man auf den ersten Blick, nur drei Geschosse zu sehen. Es sind sechs. Man vergleiche mit dem Eckgebäude davor. Originell, aber wuchtig.

Eine grusszügige Eingangssituation hat der Entwurf «Platztomorrow» der Arbeitsgemeinschaft Flühler Architektur und Blumergaignat aus St.Gallen. Im Endeffekt führt auch hier der Weg zur breiten Treppe durch die 6m breite Unterführung.
Das Projekt «Sonnenuhr» von K&L Architekten, St.Gallen und Grafton Architects, Dublin integrierte als einziges den Aufgang aus der Unterführung ins Gebäude bzw. unter das Dach. Das Team verteilte das geforderte Raumprogramm als eines der wenigen auf mehrere Gebäude.

Der Vorteil, wenn alles in einem grossen Bau untergebracht ist, liegt darin, dass eine grössere Aussenfläche möglich ist. Das Projekt «Catamara» der Zürcher Pool Architekten Genossenschaft konzentriert einen grossen Baukörper am östlichen Perimeterrand. So entsteht ein grosser Platz zwischen diesem und der ehemaligen Kirche. Grosse Plätze sind in St.Gallen bekanntlich rar.

Vergleichsweise besser ist hier der Aufgang aus der Unterführung (rechts unten im Bild rechts) in Form einer ziemlich geraden Rampe. Der Zugang ist im Gegensatz zum Siegerprojekt viel direkter.
Eine schöne Platzsituation gelang auch der Arbeitsgemeinschaft Boltshauser Architekten und Drees Sommer, Zürich GmbH mit ihrem Projekt «Commons Campus». Wenn der Aufgang aus der Unterführung in einer geraden Rampe in den Platz erfolgen würde, wäre sie noch besser.
Ein organisch erscheinendes Dach mit Garten überdeckt im Vorschlag «Common Grounds» von Bruther Switzerland aus Zürich fünf Gebäude.


Eines davon ist das alte Haus am Pfauengässlein. Dieses soll nach Bruther in den Campus integriert werden.
Das Haus Pfauengässlein 2 auf dem Bild rechts stand einst in der Ecke Pfauengässlein – Bahnlinie. Im Hintergrund rechts die St.Jakob-Strasse.

St.Jakob-Strasse 1907, als die Brücke der alten Bahnlinie noch stand. Blick stadtauswärts, rechts der «Pfauen».
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